ALLEIN von Clara Wiesmann

ALLEIN von Clara Wiesmann

Nicht allein sein, sondern irgendwo dazu gehören, als ein kleiner Teil einer großen Gemeinschaft. Wünscht sich das nicht jeder irgendwie? 

Er starrte an die Decke, die graue, mit Asbest versiegelte Zimmerdecke. Seine Gedanken waren ungeordneter als das alte Bücheregal in der Schulbibliothek von damals und seine Seele überschüttet von Gefühlen, von Angst über Traurigkeit bis hin zu Wut. Er spürte, wie die Einsamkeit ihn von innen füllte, wie ein stechender Schmerz, der in jede Zelle seines Körpers drang. Teil von etwas ganz Großem sein, einer Einheit, einer Gemeinschaft, das alles gehört nun der Vergangenheit an. Er war auf sich allein gestellt, so wie früher einmal, damals in seiner Kindheit. Aber was war anders an dem Gefühl der Einsamkeit als damals? Ihm wurde schnell bewusst, damals kannte er das Gefühl von Geborgenheit und Zugehörigkeit nicht, es war für ihn fremd. Und nun, wo er es in vollen Zügen kennengelernt hatte, verschwand es urplötzlich, so schnell, wie es gekommen war. Völlig versunken in seinen Gedanken, wurde er plötzlich von einem lauten, schrillen und kalten Ton geweckt. Die große Eisentür am anderen Ende des Zimmers ließ einen Schein von hellem, aber auch kaltem Licht den Raum erfüllen. Er blickte auf, nahm seinen schwarzen mit Löchern übersäten Rucksack und ging in Richtung des hellen Lichts. Er wusste, es gibt kein Zurück mehr. Er war auf sich gestellt, wie damals.

Und als er die graue, mit Schlaglöchern bedeckte Straße entlang ging, war die Welt um ihn herum wie ein Nebel, der alles umhüllte. Fast wie ein Traum. Nur die Sonne am Ende der Straße, die blutrote Abendsonne, die vom Boden langsam verschluckt wurde, war für ihn so klar wie nie zu sehen. Und in diesem Augenblick wurde es ihm bewusst, wie eine Erkenntnis, die ihn plötzlich von innen erfüllte. Er hatte das Gefühl vermisst, das des Alleinseins. Denn die Einsamkeit war doch sein liebster Begleiter. So ging er der Abendsonne entgegen, voller Erwartungen an eine neue Stadt, an ein neues Leben und vielleicht auch an ein besseres.

Clara Wiesmann

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